Den
Demenz-Kranken
respektieren
Genau
beobachten und hilfreiche Unterschiede erkennen
Wer
einen kranken Menschen genauestens beobachtet, ihn möglichst exakt und
vollständig (also nicht nur die Defizite!) beschreibt, ist davor geschützt,
in Verallgemeinerungen und Abwertungen zu verfallen (wie: Der Demente kann
“nichts”, isst “nie”, stürzt “immer”, redet “nur”
Kauderwelsch). Statt dem “hoffnungslosen Krankheitsfall” nimmt man
dann wieder die individuelle Person wahr. Wer genau hinsieht und lange
genug aufpasst, registriert auch die unterschiedlichen Umstände, unter
denen sich der Demenz-Kranke problematisch bzw. angemessen verhält. So
zeigte sich in einem Fall, dass ein Patient seine Betreuerinnen nur dann
schlug, wenn diese lange Haare trugen. Indem diese ihre Haare mit einer
Haube bedeckten, lösten sie das Problem sofort.
Kleine
Aufmerksamkeiten spendieren
Soziale
Gesten, wie „Hallo“ oder „Bitte“ sagen, sich Bedanken oder Anlächeln,
entspannen und bereichern den Alltag Gesunder. Gönnen Sie auch dem
Dementen diese kleine Aufmerksamkeiten. Dann kann er sich weiter als geschätztes
Mitglied der Gesellschaft erleben. Viel zu oft muss er meist Kritik und
Vorschriften hören.
Die
Diagnose offen benennen
Es
ist nicht unbedingt "taktvoll", bei einer beginnenden Demenz den
Betroffenen über die Natur seines Leidens im Unklaren zu belassen oder
wohlmeinend darüber hinwegzusehen. Dies schürt nur unnötig falsche Ängste
(etwa "verrückt" zu werden) und verhindert, dass der Kranke
sich auf seine Zukunft vorbereitet. Oft ist eine klare (wenn auch
unerfreuliche) Diagnose besser zu ertragen als jahrelange Unsicherheit.
Diagnose
schonungsvoll mitteilen
Noch
ist die Einstellung verbreitet, dass es taktvoller sei, Demenz-Betroffenen
nicht die Wahrheit zu sagen. Viele dieser im Unklaren belassenen Kranken
befürchten dann aber oft jahrelang, verrückt zu werden und sind
erleichtert, wenn sie endlich aufgeklärt werden. Menschen, die ihre
Demenz lieber verleugnen, lassen sich auch durch die ärztliche Diagnose häufig
nicht erschüttern.
Eigenarten
akzeptieren
Verzichten
Sie darauf, Demenz oder Verwirrtheit beseitigen zu wollen. Gestehen Sie
dem Demenz-Kranken seine Art zu leben zu. Respektieren Sie seine gewohnten
Ordnungsvorstellungen. Verstehen Sie störende Verhaltensweisen nicht als
"Angriff". Wenn der Patient einnäßt, tut er dies vermutlich
nicht, um Sie zu ärgern. Er findet oder erreicht einfach die Toilette
nicht. Machen Sie Demenz-Kranke nicht pauschal für alle neuen
Verhaltensweisen verantwortlich. Manchmal spielen auch ihre veränderten
Lebensumstände eine Rolle. Daran zu denken ist wichtig, da man hier
(anders als bei der Grundkrankheit) manchmal korrigierend eingreifen kann.
Kränkungsfrei orientieren
Ersparen
Sie dem Kranken eine direkte Konfrontation mit seinen Defiziten. Statt ihn
bewusst zu korrigieren, ist es hilfreicher, die richtige Information (z.B.
Tageszeit und Datum) wiederholt beiläufig ins Gespräch einfließen zu
lassen. Ein solches Vorgehen kränkt den Patienten weniger.
Emotionale
Kompetenz des Kranken wertschätzen
Vergrößern
Sie Ihre Achtung gegenüber dem Demenz-Kranken, indem Sie vermehrt seine
emotionale Kompetenz wahrnehmen. Gerade weil seine verstandesmäßigen
Bewertungsmöglichkeiten der Umwelt abnehmen, wird der Demenz-Kranke oft
besonders empfindsam im Erspüren von Gefühlen, die ihm entgegengebracht
werden oder die in der aktuellen Situation aufkommen. Verdeutlichen Sie
sich, dass es sich um eine Fähigkeit (!) handelt, über die selbst viele
Gesunde nicht verfügen. Indem Sie dem Kranken auf der gleichen
emotionalen Wellenlänge antworten (etwa durch freundliche Blicke, Lächeln,
beruhigendes Berühren), bleiben Sie auch dann mit ihm in Kontakt, wenn
Worte bereits versagen.
Entwicklungsmöglichkeiten
erkennen
Einem
früher eher rein verstandesmäßig orientierten Menschen kann die Demenz
sogar noch eine "Entwicklungsmöglichkeit" eröffnen, indem sie
jetzt Schranken abbaut, die ihm zuvor das Äußern von Gefühlen erschwert
haben. So werden viele Demenz-Kranke gefühlvoller. Zuneigung und Liebe
zeigen sie gegenüber Angehörigen deutlicher als früher. Bei manchen
Kranken sieht es zumindest so aus, als ob sie ihren "inneren
Frieden" gefunden haben: Manche erscheinen ausgeglichener und fröhlicher.
Fassade
aufrechterhalten
Demenz-Kranke
sind noch lange sensibel für soziale Umgangsformen, sittliche
Werthaltungen und allgemeine Regeln des zwischenmenschlichen Umgangs.
Halten Sie diese unbedingt ein und helfen Sie dem Patienten dabei, seine
"Fassade" zu pflegen. Halten Sie sich vor Augen, dass die Demenz
eine neue Beziehung zum Betreuten herstellt (z.B. indem Kinder für Vater
oder Mutter Elternfunktionen übernehmen). Dies ist besonders dann
schwierig, wenn der Betreute in Teilbereichen noch lebenstüchtig ist oder
er die bisherigen Rollen beibehalten will (etwa indem er weiterhin
kontrollieren oder Vorschriften machen will, er seine Möglichkeiten völlig
überschätzt).
Halt
geben und achten
Verzichten
Sie darauf, den Kranken durch unangebrachtes Duzen zu verkindlichen, ihn
"nachzuerziehen" oder gar zu bestrafen". Geben Sie ihm
Halt, indem Sie die Beziehung zuverlässig gestalten, die
Betreuungspersonen nicht dauernd wechseln und auf häufiges Vertrösten
verzichten. Gehen Sie keine "Bündnisse" gegen den Kranken ein.
Großeltern
nicht zu Kindern machen
Erhalten
Sie das Selbstwertgefühl des Kranken. Wechseln Sie nicht wegen seiner
Verwirrtheit plötzlich von der Anrede "Mutter" auf
"Oma". Machen Sie aus der einer ursprünglichen Respektsperson
kein Kind. Die bisherige Familienrolle (z.B. als Vater oder Mutter) trug
wesentlich zur Identität des Patienten bei. Das Festhalten am vertrauten
Status hilft, die Identität zu wahren. Rauben Sie dem Kranken diese Möglichkeit
nicht. Kleine Kinder haben hier weniger Probleme, da sie die Identität
von Demenz-Kranken selten in Frage stellen und weiterhin spontan mit
diesen umgehen. Zeigen Sie dem Kranken, dass er trotz seines Leidens
liebenswert ist (z.B. indem Sie ihn umarmen, ihn freundlich begrüßen
oder ihm einen Wangenkuss geben).
Verbote durch
Wahlmöglichkeiten ersetzen
Demenz-Kranke
stoßen ständig an Grenzen und Zurückweisungen. Diese Erfahrungen kränken
und sind aufgrund der Erkrankung seelisch nur schwer zu verarbeiten. Sie
helfen einem Kranken, wenn Sie an die Stelle eines nicht erfüllbaren
Wunsches andere Vorschläge rücken, zwischen denen der Demente wählen
kann. Solche Wahlmöglichkeiten unterscheiden sich vielleicht sprachlich
stärker voneinander als ihrem Inhalt nach. Manchem Kranken vermitteln sie
jedoch bereits kleine Erlebnisse von Freiheit und helfen ihm so über das
zunächst geäußerte “nein” hinweg. Auch hier ist Ihre Phantasie
gefordert.
Die
Krankheit, nicht der Kranke kränkt
Demenz-Patienten
wollen mit ihrem Verhalten nicht kränken. Kommt es dennoch dazu, dann ist
dies eine Folge der Krankheit und keine beabsichtigte Handlung. Vergegenwärtigen
Sie sich, dass die geistige Leistungsfähigkeit der Patienten häufig
schwankt. Ziehen Sie also aus "guten Tagen" nicht den Rückschluss,
dass Ihnen der Kranke an "schlechten Tagen" etwas vorspielt.
„Aggressivität“
angemessen tolerieren
Behalten
Sie die Ruhe, wenn der Kranke aggressiv wird. Aggression gehört zum
Menschsein und ist ein Ausdruck von Lebenswillen. Vermeiden Sie
Diskussionen und Vorhaltungen. Signalisieren Sie Verständnis. Reden Sie
in solchen Situationen weniger und hören Sie mehr zu. Verzögern Sie bei
Bedarf den Redefluss, indem Sie zum Beispiel fragen: “Augenblick mal,
ich kann Dir nicht folgen. Was ist denn genau passiert?” Lassen Sie den
Kranken nach Möglichkeit laufen und sich bewegen, damit er seine
Spannungen abreagieren kann.
Fehlleistungen
nie verallgemeinern
Verallgemeinern
Sie "Fehlleistungen" nicht ("Immer das Gleiche",
"Was hast Du wieder angestellt"). Versuchen Sie, den Vorgang als
Ausnahme (und nicht als Regel) zu betrachten. Bieten Sie lieber freundlich
Ihre Hilfe an. Trauen Sie dem Kranken etwas zu und beziehen Sie ihn in
ihre Alltagsgespräche ein. Ersparen Sie ihm dabei schmerzliche
Misserfolgserlebnisse.
Auf
ständiges Mahnen und Erinnern verzichten
Ständiges
Mahnen und Erinnern schaden oft mehr, als sie helfen. Sie führen dem
Patienten sein häufiges Versagen vor Augen, erschüttern so sein
Selbstwertgefühl und können ihn letztlich in einen Erregungszustand
versetzen. Einfühlsamkeit und Beruhigung entlasten alle Beteiligten am
ehesten. Übertreiben Sie es nicht mit der Wahrheitsliebe.
Fotos
aus „besseren Zeiten“ erhalten den Respekt
Es
fällt schwer, einen Kranken weiterhin liebevoll zu pflegen, wenn man von
ihm laufend beschimpft oder geschlagen wird. Die Erinnerung an gemeinsame
angenehme frühere Erlebnisse und Erfahrungen hilft allen Beteiligten,
neue Kraft zu schöpfen. Daran denkt man eher, wenn im Zimmer des
Patienten Fotos aus "besseren Zeiten" hängen. Diese Maßnahme
hat sich auch in Krankenhäusern und Pflegeheimen bewährt! Ein
Familienfoto unterstützt nicht zuletzt die soziale Orientierung
(Beispiel: Bild, das den Kranken im Kreis seiner Angehörigen zeigt).
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