Gesundes
aufgreifen und aktivieren
Stärken
statt Schwächen wahrnehmen
Nehmen
Sie nicht nur die negativen Veränderungen des Kranken wahr. Schulen Sie
Ihren Blick, um selbst in schwersten Fällen einer Demenz zu erkennen, über
welche Fähigkeiten und Fertigkeiten der Kranke noch verfügt und welche
Bereiche der Person von der Erkrankung weitgehend unangetastet geblieben
sind. Bewerten Sie unter anderem auch folgendes Verhalten positiv:
Blickwendungen (statt Starre), emotionale Ausbrüche (statt Schweigen und
Passivität), Singen von Volksliedern, Benutzen einer Tasse (statt der Hände),
Bereitschaft auf Außenreize zu reagieren und emotional in Kontakt zu
bleiben.
Eigene
Wahrnehmung auf "Gesundes" lenken
Die
Art und Weise, wie Sie selbst den Kranken sehen, beeinflusst dessen
Sichtweise von sich selbst. Wenn Sie also Ihre ganze Aufmerksamkeit
einseitig auf die Defizite lenken, trägt dies dazu bei, dass sich der
Betreute nur noch als ein Bündel von Problemen erlebt, sich ganz auf
Elementares zurückzieht (z.B. seine Körperausscheidungen) und seine
Erfahrungswelt so unnötig verkleinert. Letztlich wird er dadurch nur noch
"kranker" und pflegebedürftiger. Angesichts dieser
Wechselwirkungen helfen Sie ihm und sich selbst, wenn Sie konsequent immer
wieder Ihre Aufmerksamkeit auf das Funktionierende und nach wie vor Schöne
lenken. Finden Sie immer auch heraus, was dem Kranken mehr oder weniger
Freude bereitet.
Vorhandenes,
nicht Fehlendes beachten
Leider
neigen noch immer viele Betreuer dazu, vor allem die Defizite des Kranken
wahrzunehmen. Eine solche Haltung verführt zum ständigen Beklagen und
Betrauern von Verlusten, was sowohl beim Kranken als auch beim Betreuer
fast unweigerlich Gefühle von Angst, Verzweiflung, Wut und Resignation
hervorruft. Damit lässt es sich weniger gut leben. Was spricht dagegen,
statt dessen konsequent immer wieder danach zu suchen, “was noch alles
funktioniert”? Eine solche Haltung erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass
sich auch Gefühle von Freude, Zufriedenheit und Optimismus einstellen.
Damit macht man sich nichts vor, man verlagert lediglich den Schwerpunkt
der Wahrnehmung (ähnlich dem 50prozentig gefüllten Glas, das man
bedauernd als “schon halb leer” oder freudig als “noch halb voll”
wahrnehmen und erleben kann).
Lernfähigkeit
des Kranken nicht unterschätzen
Wenn
Demenz-Kranke in ein Heim umsiedeln schaffen es viele, dort nach einiger
Zeit die Toilette aufzufinden oder Namen und Person ihrer dortigen
Betreuer miteinander zu verbinden. Sensibilisieren Sie sich dafür, dies
als Ausdruck einer fortbestehenden Lernfähigkeit zu werten.
Angst
nehmen und so Leistungsfähigkeit verbessern
Angst
oder übermäßige Unruhe können die Denktätigkeit lähmen. Die
Leistungsfähigkeit steigt oft schon dann, wenn die Angst abnimmt.
Umgekehrt droht ein Teufelskreis: Die Angst verschlechtert die Leistungsfähigkeit.
Dadurch erhöht sich wiederum die Angst. Dies führt dazu, dass die
Leistungsfähigkeit noch mehr abnimmt. Und so kann es immer weiter bergab
gehen. Bleiben Sie daher selbst ruhig und sorgen Sie für eine Stressfreie
Atmosphäre. Helfen Sie dem Kranken, Ängste abzubauen. Verschonen Sie ihn
vor "Erwartungsdruck" und ersparen Sie ihm damit die Sorge, an
fremden Leistungsmaßstäben gemessen zu werden. Teilen Sie z.B. Aufgaben
in einzelne Abschnitte: Jeder bewältigte Abschnitt vermittelt ein
Erfolgserlebnis und ermuntert dazu, den nächsten in Angriff zu nehmen.
Sonderbegabungen
erkennen
Immer
wieder kommt es vor, dass einige Fähigkeiten - ähnlich wie Inseln im
Meer - von der Demenz lange verschont bleiben. So gibt es Berichte von
Demenz-Kranken, die noch lange in einer Band Posaune spielten,
ausgezeichnet verschiedene Kartenspiele beherrschten oder sehr
komplizierte Puzzles zusammenlegen konnten. Es ist wichtig, solche
Sonderbegabungen möglichst lange am Leben zu erhalten!
Unabhängigkeit
erhalten
Für
den Kranken ist die Einbuße von Unabhängigkeit besonders schmerzlich.
Erhalten Sie ihm daher ein Maximum an Eigenständigkeit, etwa durch
Kleider, die er alleine anziehen kann (z.B. Mantel mit großen Knöpfen,
Schuhe mit Klettverschlüssen, Pullover statt Hemden und Kleider mit Reißverschluss)
oder durch eine behindertengerecht ausgestattete Wohnung. Stellen Sie
wichtige Dinge möglichst offen, leicht erreichbar und gut sichtbar auf
Sich
vom Kranken anregen lassen
Auch
Demenz-Kranke können noch geben! Warum sollte man sich nicht durch bizarr
wirkende Verhaltensweisen eines dementen Menschen ermuntern lassen, selbst
einmal etwas Ungewöhnliches zu probieren? Vielleicht leben ja
Demenz-Kranke uns Möglichkeiten vor, die wir uns aufgrund unserer
“Reife” einfach nicht mehr zugestehen (wie Langsamkeit,
Unberechenbarkeit, Lust, Triebhaftigkeit, Nutzlosigkeit).
Anregen
statt schonen
Halten
Sie dem Kranken nicht sein Unvermögen vor Augen, indem Sie ihn in übertriebener
Weise schonen. Vermitteln Sie ihm durch Anregung und Beschäftigung das
Gefühl der Dazugehörigkeit. Loben Sie auch seine kleinen Erfolge und
ersparen Sie ihm Angst und Zorn, die als Folge einer Überforderung
auftreten können. Aktivieren Sie den Kranken durch häufige kurze
Spaziergänge (möglichst immer die gleiche Strecke). Regen Sie seine
Sinne und sein Gedächtnis an, indem Sie ihm vorlesen oder ihm Fotoalben
zeigen. Greifen Sie Aktivitäten auf, die Sie früher gemeinsam ausgeübt
haben (z.B. Musizieren).
An
der Lebenserfahrung anknüpfen
Aktivieren
Sie den Kranken durch Aufgaben, die an seinem Leben anknüpfen. Einem
Demenz-kranken Mann, der im Büro immer mit Papier hantiert hat, kann man
nach dem Einsetzen einer Demenz nicht plötzlich ein Kartoffelmesser in
die Hand drücken.
Aufgaben
und Auswahlmöglichkeiten anbieten
Durch
Übertragen von Aufgaben vermitteln Sie dem Kranken das Bewusstsein, dass
sein Leben weiterhin einen Sinn hat und er Verantwortung tragen kann.
Indem Sie ihm Auswahlmöglichkeiten anbieten, geben Sie ihm das Gefühl,
sein Leben noch gestalten und den Augenblick beeinflussen zu können.
Medikamenteneffekt
nutzen
Ein
günstiger Zeitpunkt zur Aktivierung Demenz-Kranker ist das Wirksamwerden
einer medikamentösen Therapie. Die damit verbundene angenehme Erfahrung
motiviert die Patienten, so dass sie sich bereitwilliger anregen lassen,
auch eigeninitiativ zu werden. Versuchen Sie deshalb geistiges Training
und Nootropika-Behandlung zu kombinieren, da sich beide Maßnahmen in der
Wirkung ergänzen und verstärken. Machen Sie sich klar, dass ähnlich wie
bei Krebsleiden bereits die Verlangsamung des Krankheitsprozesses einen
Erfolg darstellt.
Erfolgserlebnisse
feiern
Feiern
Sie mit dem Demenz-Kranken seine Erfolgserlebnisse. Als Gesunder wissen
Sie, wie "Spitzenleistungen" beschwingen sowie Spritzigkeit und
weitere Glanzleistungen fördern können. Warum sollte dieser Mechanismus
bei Demenz-Kranken nicht funktionieren?
An
bekannten Rollen anknüpfen
Bei
manchen Hausbesuchen kann es hilfreich sein, wenn Helfer eine
orientierende Kleidung tragen (z.B. den weißen Kittel einer
Krankenschwester).
Eingeschliffene
Gewohnheiten nutzen
Setzen
Sie durch eine “Initialzündung” beim Kranken vertraute Abläufe
wieder in Gang. Beispiel: Tragen Sie zum Zähneputzen Zahnpasta auf die Bürste
auf, führen die Bürste zum Mund und demonstrieren Sie einige
Putzbewegungen. So versetzen Sie den Kranken vielleicht in die Lage, das
Werk selbst fortzuführen. Ähnlich genügt es mitunter beim Essen, den
Gebrauch des Bestecks einige Male vorzuführen.
Mobil
halten
Demenz-Kranke
neigen zum sozialen Rückzug und zur körperlichen Versteifung. Gymnastik
und eine kontinuierliche und konsequente Anleitung zur Mobilität sind
deshalb für sie besonders wichtig.
Bewegung
fördern, nicht eindämmen
Wahrnehmung
und Bewegung sind sehr voneinander abhängig. Je weniger ein
Demenz-Kranker sich bewegt, um so weniger wird er wahrnehmen und damit
vielleicht „verwirrter“. Im Umherlaufen und Herumnesteln lässt sich
der Versuch sehen, die Umwelt und sich selbst weiter wahrzunehmen (zu spüren)
und in Kontakt (in Berührung) zu bleiben. Bewegung fördert das Denken
und verringert Anspannung. Zu wenig Bewegungsspielraum begünstigt Angst
und Aggression
“Umherwanderer”
laufen lassen
Wenn
es Ihnen auffällt, dass der Kranke ständig hin und herläuft, sollten
Sie sich fragen, ob nicht “Laufen lassen” die beste Lösung ist.
Sofern das Umherwandern “Verlorensein” ausdrückt, ist es wichtig,
dass Sie dem Kranken ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit
vermitteln. Begleiten Sie doch den Kranken auf seiner “Wanderung” und
mildern Sie so seine Unsicherheit. Außerdem kann dabei ein Gefühl von
Gemeinschaft entstehen und fällt es leichter, ein neues “gemeinsames”
Wanderziel vorzuschlagen.
Bewegungsstarthilfen
geben
Der
Patient kann manche ihm aus früheren Zeiten vertraute Bewegungsabläufe
wieder selbst ausführen, wenn Sie ihm einen entsprechenden Impuls (eine
Starthilfe) geben. Beispiel: Legen Sie ihm einen Waschlappen in die Hand
und führen Sie die Hand bei der ersten Waschbewegung. In einem solchen
Fall ersetzen Sie durch Ihre Berührungen (möglichst warm, sanft, sicher
und mit der ganzen Hand) den fehlenden Gehirnimpuls. Mitunter muss den
einmal in Gang gebrachten Bewegungen auch wieder ein Ende gesetzt werden.
Bremsen Sie aber nie mehr als unbedingt notwendig! So erhalten Sie die
Selbständigkeit des Kranken in Teilbereichen und ersparen sich selbst
besonders unangenehme Tätigkeiten (z.B. die Intimtoilette).
Rhythmusgefühl
nutzen
Demenz-Kranke
behalten ihren Sinn für Rhythmik noch lange Zeit. Durch Tätigkeiten wie
Tanzen, Musikhören und Laubsägen werden sie daher mitunter stark
motiviert und ermuntert. Auch eine rhythmische Sprechweise versteht der
Kranke manchmal besser als gleichförmiges Reden. Rhythmische Bewegungen
vermitteln zudem Harmonie und Entspannung. Bemühen Sie sich also um einen
passenden gemeinsamen Rhythmus, wenn Sie z.B. den Kranken auf einem
Spaziergang begleiten.
Tastsinn
unterstützen
Vieles
spricht dafür, dass Bewegungs- und Tastsinn zu Beginn unseres Lebens
Leitfunktionen haben. Da die Demenz zuerst später im Leben erworbene Fähigkeiten
beeinträchtigt, bleiben Fühlen und Bewegen lange Zeit erhalten.
Irgendwann werden sie zum einzig „Wirklichen“, auf das sich der
Demente noch verlassen kann. So haut der Kranke auf die Armlehnen des
Rollstuhls, weil sie die Bewegung abbremsen und damit Hand und Stuhl für
ihn fühl- und damit erlebbar machen. Auch die beim Ein- und Ausatmen
entstehenden Vibrationen ermöglichen es dementen Menschen, sich selbst zu
spüren. Am längsten erhalten bleibt offenbar das Vermögen, Bewegungen
wahrzunehmen. Dies macht verständlich, warum manche Demenz-Betroffene Äpfel
solange schälen, bis sie nicht mehr vorhanden sind.
Kontakte
mit Realitätstraining verbinden
Jeder
Kontakt mit dem Kranken bietet eine Möglichkeit zum "Realitätstraining".
Beispiel: "Hallo Vater. Ich hoffe, Du hattest einen angenehmen
Mittagsschlaf. Es ist jetzt 14 Uhr. Die Sonne scheint draußen. Ich möchte
Dich gerne zum Kaffeetrinken abholen."
Lesehilfen
einsetzen
Wenn
ein Kranker mit nur leichter Demenz Interesse am Lesen zeigt, können Sie
auf Bücher zurückgreifen, die bewusst im Großdruck gehalten sind. Wenn
der Patient im Text die Orientierung verliert oder er nicht mehr in der
Lage ist, eine Zeile zu fixieren, kann ihm eine Abdeckkarte mit Fenster
helfen. Ein solches Fenster gibt immer nur ein bis zwei Worte frei, so
dass der Kranke in Ruhe den Sinn des Gelesenen entschlüsseln und sich von
Wort zu Wort voranbewegen kann.
"Erinnerungstherapie"
betreiben
Das
gemeinsame Betrachten von Fotoalben oder alten Familienfilmen unterstützt
das Erinnerungsvermögen und informiert die Betreuer über den Patienten.
Dabei kann der Kranke verfolgen, wie sich vertraute Personen über einen längeren
Zeitraum äußerlich verändern. Sehr kleine Fotos sollte man vergrößern.
Ein Besuch auf dem Friedhof kann ihn daran erinnern, dass seine Eltern längst
verstorben sind.
Das
autobiographische Gedächtnis trainieren
Viele
Empfehlungen laufen darauf hinaus, das sog. mnemotechnische Gedächtnis
des Kranken zu trainieren, weil es für die Orientierung im Alltag
besonders relevant erscheint. Möglicherweise ist für einen
Demenz-Kranken das autobiographische Gedächtnis für den Erhalt seiner
Identität und für die Selbstvergewisserung sogar noch bedeutsamer. Vor
diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, sich immer wieder Zeit für
gemeinsame Erinnerungen zu nehmen, im Alltag des Kranken möglichst viel
Kontinuität und ein Gefühl der Vertrautheit herzustellen.
Zu Gesprächen über die Vergangenheit haben sich sog.
Chronik-Bildbände besonders bewährt. Noch besser ist ein für jeden
Kranken erstellter Bildband mit einer Sammlung von Fotografien und
gegebenenfalls Kopien wichtiger Dokumente.
Streit
riskieren
Kleine
Auseinandersetzungen zwischen Demenz-Kranken sind nicht per se gefährlich.
So zeigen die Streitenden ihre Lebendigkeit und eröffnen sie sich eine Möglichkeit
zu intensiven Empfindungen.
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