In
der Verwirrtheit Sinn entdecken
Beschämung
und Betroffenheit nicht als „Schikane“ oder „Lüge“
fehlinterpretieren
Denken
Sie daran, dass der Kranke Sie nie vorsätzlich schikanieren will. Auch lügt
er nicht, wenn er Fehlleistungen verleugnet; auf diese Weise versucht er
nur, seine Beschämung und Betroffenheit zu bewältigen.
Kindliches
Verhalten als Wunsch nach Sicherheit und Geborgenheit
Versuchen
Sie den Sinn auch noch so bruchstückhafter Äußerungen von
Demenz-Kranken zu entziffern. Selbst hinter Schreien und ständigem
Wiederholen gleicher Worte kann sich ein "Sinn" verbergen:
Vielleicht will der Kranke verhindern, dass Stille eintritt, vielleicht
sucht er Kontakt oder sollen seine Redefetzen eine für ihn bedrohliche
Leere füllen. Wenn sich der Kranke zunehmend "kindlicher" verhält,
so kann dies den Wunsch nach mehr Sicherheit und Geborgenheit ausdrücken
(sich wieder so zu fühlen wie in früheren Lebensphasen). Vielleicht
hofft der Kranke, durch seinen "Rückzug in die Vergangenheit"
wieder an früheren Fähigkeiten und Fertigkeiten anknüpfen und so gekräftigt
in die Welt der Gegenwart zurückkehren zu können.
Verwirrtheit
als “Suche nach Halt” verstehen
Viele
Verhaltensweisen dementer Menschen werden verständlicher, wenn man sie
als “Suche nach Halt” bzw. als Bedürfnis nach Sicherheit und
Geborgenheit versteht. Aus dieser Perspektive kann es zum Beispiel
sinnvoll erscheinen, räumliche Nähe und Körperkontakt zum Patienten
herzustellen. Wachsende Unruhe des Kranken lässt sich als Ausdruck seiner
Einsamkeitsgefühle und als Kontaktwunsch interpretieren. Auch der Ruf der
alten Menschen nach ihren Eltern wird verständlich, weil zu diesen
Personen meist eine besonders enge Halt und Sicherheit gebende Bindung
bestand. Umgekehrt überrascht es nicht, dass sich manche Demenz-Kranke
wieder an den Tod der eigenen Eltern erinnern und deshalb die Suche nach
ihnen einstellen, sobald sie die Nähe zu einem Betreuer spüren (sich
“versorgt”, “beruhigt”, “getröstet”, “gewärmt” fühlen).
Selbst das stundenlange Festhalten und Rumschleppen von Handtaschen, zerknüllten
Taschentüchern und anderen Gegenständen macht als Form der
“Haltsuche” Sinn. Wer im Weglaufen (“Ich will nach Hause”) die
Botschaft “Ich fühle mich hier nicht zu Hause” entschlüsselt, kann
neue Wege entwickeln, ein solches Verhalten möglicherweise verzichtbar zu
machen.
Verleugnung
von Verlusten erhält seelisches Gleichgewicht
Fragen
Sie sich, ob sich hinter "verwirrtem Verhalten" vor allem der
Versuch verbirgt, einen Verlust auszugleichen (und alte Menschen müssen
viele Verluste verkraften!). Manchmal verleugnen die Kranken regelrecht
einen Verlust, indem sie etwa erwarten, dass ein Verstorbener (z.B. Vater
oder Ehemann) zu Besuch bekommt und sie deshalb für diesen den Tisch
decken. Das Verleugnen der Wirklichkeit hilft ihnen dann, seelisch im
Gleichgewicht zu bleiben, Kränkungen abzuwehren und das eigene
Selbstwertgefühl zu erhalten.
Bei
Verleugnung nicht verstummen
"Verleugnen"
geht typischerweise mit einem "Verstummen" einher. Es ist
deshalb wichtig, mit dem Kranken ins Gespräch zu kommen, dabei seine
verborgenen Wünsche anzusprechen ("Es wäre schön, wenn Vater hier
wäre") und Nähe und Sicherheit in einer neuen Beziehung anzubieten
(anstelle der verlorenen alten).
Realitätsbezug
von „Halluzinationen“ und „Unruhe“
"Halluzinationen"
und "Unruhe" Demenz-Kranker sind manchmal einfühlbar: Wenn ein
Demenz-Patient im Pflegeheim von schwerkranken bettlägerigen Mitpatienten
umgeben ist und anschließend "überall Leichen sieht", so
erscheint dies schon gar nicht mehr so verrückt. Auch kann man die
Verfolgungsangst eines Demenz-Kranken nachvollziehen, die entsteht, wenn
er (zu Recht!) merkt, dass seine ganze Umwelt mehr über ihn weiß als er
selbst.
Wahnideen als
Reaktion auf Verlust interpretieren
Betrachten
Sie Wahnideen des Kranken als Kompensation eines Verlustes. Wer Stimmen hört,
muss sich nicht eingestehen, dass er sich allein und verlassen fühlt.
Statt den Wahn rigoros zu bekämpfen (etwa medikamentös), kann es
sinnvoller sein, die auslösenden Bedürfnisse zu befriedigen (z.B. bei
Einsamkeit Kontakt herzustellen). Wahnideen können auch ein beeinträchtigtes
Selbstwertgefühl stützen oder das Vermeiden von Konflikten ermöglichen.
Wer nicht mehr über sein Vermögen verfügt und sich machtlos fühlt,
kann sich z.B. mit der Vorstellung trösten, er sei beraubt worden.
Sprechen Sie unbedingt mit allen anderen Betreuer ab, wie sie
gegebenenfalls einheitlich auf Wahnideen des Demenz-Kranken reagieren
wollen.
Hinter
Wahn den Kontaktwunsch und nicht einen Angriff vermuten
Lassen
Sie sich von Wahnvorstellungen auch dann nicht kränken, wenn diese gegen
Sie selbst gerichtet sind ("Du hast meine Brieftasche
gestohlen"). Hinter einem Wahn verbirgt sich oft ein Kontaktwunsch
und das Bemühen, eigenes Versagen zu verleugnen. So kann es den Kranken
zu sehr kränken, wenn er sich eingestehen muss, dass er nicht mehr weiß,
wo er einen Gegenstand verlegt hat. Für ihn ist die Idee angenehmer,
bestohlen worden zu sein.
„Nervende“
Kontaktwünsche nicht als „aggressives Verhalten“ missverstehen
Interpretieren
Sie Hinterherlaufen und ständiges Wiederholen der gleichen Frage durch
einen Demenz-Kranken nicht vorschnell als "aggressives"
Verhalten. Möglicherweise ist es nur ein sehr unbeholfener Versuch, zu
Ihnen Kontakt aufzunehmen, bzw. der "Versuch eines kranken Hirns,
sich durch Kontakte mit gesunden Hirnen zu stabilisieren".
Durch
„Gespräche“ aufwerten
Durch
regelmäßige Gespräche vermitteln Sie dem Demenz-Kranken das Gefühl,
"irgendwie bedeutsam zu sein" und erhöhen so sein
Selbstwertempfinden. Zugleich werten Sie ihn in den Augen anderer auf.
"Gespräche" sind selbst mit sprachlich stark gestörten
Demenz-Kranken möglich. Allerdings lassen sich die Betroffenen dann eher
"unterhalten". Sprachlich weniger stark beeinträchtigte
Demenz-Kranke können durchaus in der Lage sein, Konfliktsituationen zu
verstehen, von eigenen Werten und Idealen zu berichten und damit Stellung
zu beziehen.
Den
Kranken wie ein Kind lieben, ihn aber nicht als solches behandeln
Lassen
Sie sich nicht von der Vorstellung abschrecken, dass sich der
Demenz-Kranke wie ein Kind verhält. Kindern bringt man ja schließlich
auch Verständnis und Liebe entgegen. Allerdings gibt es wesentliche
Unterschiede: Der Demenz-Kranke lässt sich nicht mehr wie ein Kind
erziehen und seine Würde verbietet es, ihn (herablassend) wie ein Kind zu
behandeln. Lassen Sie sich nicht unbedingt auf die "Mutterrolle"
ein; wenn es sein muss, dann sollten sie diese mit anderen teilen.
Ansonsten werden Sie auf Dauer unersetzlich.
Gewissens-
und andere Steuerungsfunktionen für den Kranken übernehmen
Es
gibt seelische Funktionen, die der Demenz-Kranke immer weniger bewältigt
(z.B. sich bei Aufregung unter Kontrolle zu haben, sich anzustrengen).
Scheuen Sie sich nicht, diese Aufgaben stellvertretend für ihn zu übernehmen.
Bleiben Sie unbeirrt, wenn der Kranke nicht aus Einsicht, sondern Ihnen
zuliebe handelt.
In
der Phantasiewelt verborgene Wünsche erkennen
Holen
Sie verwirrte Demenz-Kranke nicht mit Macht aus ihrer Phantasiewelt.
Verzichten Sie auch darauf, Illusionen zu korrigieren oder zu bestätigen.
Sie helfen dem Betreffenden am meisten, wenn Sie herausfinden, welche Gefühle
und verborgenen Wünsche seinen Vorstellungen zugrunde liegen. Wenn Sie
diese einfühlsam ausdrücken, wird sich der Patient am ehesten verstanden
fühlen (Beispielsinterpretation für einen Kranken mit Diebstahlswahn:
"Du hast so vieles verloren").
Motorische
Unruhe als Darstellung eines inneren Konfliktes
Halten
Sie sich bei motorisch unruhigen Demenz-Kranken vor Augen, dass der
Betreffende möglicherweise einen inneren Konflikt bzw. Gefühlsspannungen
(Angst, Wut) motorisch auslebt. Indem Sie dem Kranken verständnisvoll zuhören
und sein Verhalten moralisch akzeptieren, erleichtern Sie es ihm, seine
Probleme weniger theatralisch zeigen zu müssen.
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